Pressemitteilung | 17.02.2013

Polizeiübergriff gegen junge Münchnerin – Offener Brief an den Polizeipräsidenten

Siegfried Benker
Stadtrat
Rathaus, Marienplatz 8
80 331 München

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Herrn Polizeipräsidenten Dr. Schmidbauer
Ettstraße 2 – 4
80 331 München

Offener Brief!

München, den 17. Februar 2013

Polizeiübergriff gegen junge Münchnerin Nein, das kann bei einer gefesselten Frau in einer Polizeizelle keine Notwehr mehr sein
Sehr geehrter Herr Dr. Schmidbauer,
mit zunehmender Verwunderung habe ich das Interview mit Ihnen – zitiert in verschiedenen Medien -vom 16./17. Februar 2013 gelesen. Sicherlich ist es nachvollziehbar, dass Sie sich als oberster Dienstherr vor ihre BeamtInnen stellen – dies geschieht aber in dem bekannten Fall auf die übliche Art und Weise, die eben nicht dazu angetan ist, die Polizeibeamten dahingehend zu sensibilisieren, dass sie die exekutive Gewalt, die sie innehaben vorsichtig einsetzen. Ihre Aussagen führen m. E. viel mehr dazu, dass sie deutlich machen, dass Sie sich vor jegliches Verhalten Ihrer Beamten stellen. Das ist ein falsches Signal an ihre PolizeibeamtInnen und verheerendes Signal an alle MünchnerInnen.
Lassen Sie mich dies im Einzelnen begründen.
Der Fall ist mir selbstverständlich nur aus den Medien bekannt. Ich kann mich also nur auf verschiedenste Presseberichte stützen – sowie auf die von Ihnen sicher autorisierten Aussagen.
Der Fall, über den wir sprechen, ist der hinlänglich bekannte aus den Medien. Eine junge Frau ruft die Polizei um Hilfe wegen ihres Freundes. Polizeibeamte greifen ein, nehmen sie mit auf die Wache. In gefesseltem Zustand wird sie durch zwei Faustschläge eines Beamten schwer verletzt. Der Beamte gibt an, in Notwehr gehandelt zu haben, da sie versucht hätte, ihm einen Kopfstoß zu versetzen.
Der Reihe nach:
1.
Ungeklärt ist für Außenstehende bisher, warum die junge Frau überhaupt mitkommen sollte auf die Polizeiwache. Sie hatte die Polizei gerufen. Ihre Beamten geben an, dass sie sie mitgenommen haben, da sie die Beamten angegriffen hätte.

2.
Wenn dies der Grund war, steht über die Vorgänge im Auto Aussage gegen Aussage. Die

Beamten geben an, die junge Frau hätte um sich getreten und geschlagen. Die junge Frau gibt an, sie wäre bereits im Polizeiwagen gefesselt gewesen und in den Fußraum des Rücksitzes mit dem Kopf nach unten gedrückt worden.

3.
Auf der Wache angekommen wurde die junge Frau in eine Zelle verbracht – dort blieb sie gefesselt, soll sich aber weiterhin gewehrt und versucht haben, mit einem Kopfstoß einen Beamten zu verletzen, was auch nach Aussage ihres Beamten zu den Faustschlägen geführt hat.

4.
Nach zehn Tagen wird der Fall durch einen Zeitungsbericht bekannt. Das Foto der schwer verletzten Frau erschüttert die MünchnerInnen.

Dieser Ablauf entspricht Ihren Schilderungen. Bevor ich im einzelnen auf verschiedene Aspekte eingehe, zeigt dieser zumindest schon eines: Offensichtlich gibt es keine ausreichende Schulung bei ihren Beamten, wie mit aufgebrachten Personen umzugehen ist. Zu keinem Zeitpunkt wurde nach außen geäußert, dass versucht wurde die Situation zu deeskalieren.
Der gesamte Verlauf stellt sich dar als eine fortwährende Eskalation, an deren Ende die junge Frau schwer verletzt vom Notarzt versorgt werden musste. Selbst wenn jedes Verhalten Ihrer Beamten korrekt gewesen sein sollte – was angesichts der bekannten Fakten zumindest fragwürdig ist – zeigt der Fall exemplarisch, dass die bisherigen Verhaltensregeln Ihrer BeamtInnen nicht ausreichen.
Aber jetzt im Einzelnen:
1. Sie machen in Ihrem Interview deutlich, dass Sie der Ansicht sind, der Polizeibeamte hätte sich subjektiv in einer Notwehrsituation befunden. Es erscheint nach wie vor unglaubwürdig, dass eine gefesselte Frau, die in einer Zelle auf einer Liege liegt, nur durch massivste Gewaltanwendung eines Beamten „beruhigt“ werden konnte. Die ganze Situation stellt sich viel mehr als der Höhepunkt einer Eskalationsspirale dar, die ihre Beamten nicht durchbrechen konnten – oder wollten – oder eben ein Teil davon waren.
Bezeichnend ist, dass Sie einerseits aussagen, den Ergebnissen der Untersuchung nicht vorgreifen zu wollen – aber andererseits ausschließlich die Schilderung Ihrer BeamtInnen in der Öffentlichkeit wiedergeben. Und damit schon längst ein Urteil für die Öffentlichkeit abgeben: Der Beamte war so bedrängt von dieser Frau, dass er sich nicht mehr anders zu helfen wusste. Auch Sie waren im Dienstwagen nicht dabei – stellen die Schilderung Ihrer BeamtInnen aber als die einzig glaubwürdige hin – und dämonisieren die Frau um die Gewalt Ihres Beamten zu rechtfertigen, zumindest verständlich erscheinen zu lassen. Objektive interne Ermittlung sieht anders aus.
Aber – und das ist einer der Gründe warum ich Ihnen schreibe – selbst wenn es sich um eine subjektive Notwehrsituation für den Beamten gehandelt haben sollte – dürfte diese niemals (!) so eskalieren wie dies hier der Fall war. Wollen Sie allen Ernstes vertreten, dass es Teil eines rechtmäßigen polizeilichen Handelns sein kann, dass jemand, der schon gefesselt ist und in einer Zelle eben damit rechnen muss, so zugerichtet zu werden?
Das entspricht sehr genau der Denkweise des ehemaligen Bayerischen Ministerpräsidenten Max Streibl, der angesichts der Verletzten im Münchner Kessel davon gesprochen hat, dass jemand, der sich mit der bayerischen Polizei anlegt damit rechnen muss, das etwas stärker hingelangt wird
– das sei eben bayerische Art.
2. „Wir müssen unsere Sensibilität für die Außenwirkung, die solche Bilder auslösen, schärfen. Das schlechte Bild dieses Falles in der Öffentlichkeit liegt natürlich am Foto“ -sagen Sie in der Presse.
Sollten sich Personen, die von Polizeibeamten geschlagen werden vielleicht erst schminken lassen, bevor sie fotografiert werden? Nach Ihrer Sichtweise war nicht die Tat schlimm, sondern die Dokumentation der Folgen. Nicht die Verletzung ist schlimm, sondern das Foto der Verletzungen. Nicht ihre Beamten sorgen für den schlechten Ruf, sondern die Medien. Aber es gilt: Auch die Polizei – gerade wegen ihrer umfassenden Möglichkeiten in die Rechte der BürgerInnen einzugreifen – muss sich durch die Öffentlichkeit überprüfen lassen. Man wird das Gefühl nicht los, dass, wenn es kein Foto gäbe, die Polizei wieder zur Tagesordnung übergehen würde. Aber ach, das Foto wühlt die Menschen so auf, dass reagiert werden muss.
3.
Über das Verhalten des Beamten sagen Sie: „Der Faustschlag war für ihn die konsequente Vorgehensweise, um das (Verhalten der Frau) zu beenden.“ Und „Er ist glaub ich heute noch der Ansicht, dass seine Reaktion angemessen war.“

Was denken Sie? Sie schildern den Vorgang alleine aus der Sicht des Beamten, der zugeschlagen hat. Damit sagen Sie zwar noch nicht aus, ob er korrekt gehandelt hat – übernehmen aber voll und ganz seine Sichtweise – und entschuldigen damit das Verhalten ihres Beamten. Hier fehlt eindeutig eine Aussage Ihrerseits, dass Sie diese Ansicht des Beamten nicht teilen! Ohne diesen Zusatz stellen Sie sich deutlich hinter das Verhalten dieses Beamten.

4.
Derzeit ermittelt Ihre eigene Abteilung für Interne Ermittlungen – Kriminalfachdezernat 13. Ich bin der festen Ansicht, dass es falsch ist, dass eventuelle Polizeiübergriffe von internen BeamtInnen verfolgt werden sollen. Ihr Interview macht auch deutlich, dass es keine objektive und unabhängige Ermittlung geben kann. Sie sind sowohl Dienstherr des Beamten, der die junge Frau geschlagen hat – als auch der Dienstherr der ermittelnden Beamten. Jetzt stellen Sie sich in der Öffentlichkeit bereits hinter die Aussagen des Beamten. Wie objektiv kann eine interne Ermittlung noch sein, wenn Sie als Dienstherr bereits die Aussagen des zuschlagenden Beamten übernehmen?

5.
Noch deutlicher wird der Zusammenhang wenn man sich ansieht, dass Ihre Beamten die junge Frau auch im Nachhinein mit Ermittlungen überziehen. Man kommt an der Aussage des Anwaltes der jungen Frau nicht vorbei, der äußert, „dass seine Mandantin offenbar zermürbt..und in ein schlechtes Licht gerückt werden soll um zwei Fausthiebe seitens des Polizeibeamten zu bagatellisieren.“ Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Aber selbst wenn es sich – wie Sie sagen

– um übliche Ermittlungen handeln sollte, dann ist die Befangenheit Ihrer BeamtInnen mit Händen zu greifen: Sie sind Dienstherr des zuschlagenden Polizeibeamten, der internen Ermittler – und der Ermittler, die jetzt die junge Frau weiter mit Ermittlungen überziehen.
Ihr Interview während eines laufenden Ermittlungsverfahrens, Ihre Aussagen, die nur dem Beamten Glauben schenken, ihre Bagatellisierung einer schweren Körperverletzung im Amt, Ihre Abwehrbehauptung, nicht die Faustschläge hätten die Polizei diskreditiert, sondern das Foto der Folgen, zeigen deutlich, dass es bei der Münchner Polizei keinerlei Aufklärungswillen bei Polizeiübergriffen gibt. Es ist erschütternd, dass Sie sich als oberster Dienstherr nach all den Vorfällen der letzten Zeit in der Öffentlichkeit zum Sprachrohr derjenigen machen, die eine solche Behandlung Münchner Bürger rechtfertigen.
Nach diesem Interview müssen Sie die Ermittlungen in diesem Fall abgeben und für absolute Transparenz sorgen.
Bezeichnend ist, dass Sie im ganzen Interview keine Entschuldigung und kein Bedauern für das Opfer der Polizeigewalt finden. Selbst wenn Sie in Sorge wären, dass das ein Schuldeingeständnis wäre – zumindest für die Folgen der Faustschläge könnten Sie sich als Dienstherr entschuldigen. Dass dies nicht geschieht ist bezeichnend für die Münchner Polizei.
Mit freundlichen Grüßen
Siegfried Benker