Pressemitteilung | 13.11.2009

Redebeitrag von Siegfried Benker

Redebeitrag von Siegfreid Bebker
auf dem Geburtstagsfest 20 Jahre rosa liste
Oberanger Theater,
Freitag, 13. 11. 2009

Liebe Freundinnen und Freunde,
lieber Thomas Niederbühl,
liebe Rita Braaz,

gleich zu Beginn: Gerne wäre meine Kollegin Lydia Dietrich, die ja viele hier kennen, heute Abend auch hier gewesen, aber sie ist – schon lange geplant – heute nicht in München. Auf alle Fälle möchte ich gleich zu Beginn die besten Geburtstagsgrüße von ihr überbringen.

Liebe Freundinnen und Freunde,

1158 ist diese Stadt gegründet worden. Und dann wurde sie 831 Jahre lang von heterosexuellen Münchnerinnen und Münchnern mühsam aufgebaut. Könige regierten weise und kannten als einzigen Zeitvertreib ein bisschen Krieg zu führen und alle neun Monate ihre Frau zu schwängern. Wo in dieser Stadt ein Plätzchen frei war, wurde eine Kirche mit Kloster hingebaut wo vergeistigte Männer oder Frauen versuchten Gott näher zu kommen. Die Münchnerinnen und Münchner liebten die Moral. König Ludwig der I. konnte die Steuergelder raushauen, dass die Staatskasse knirschte. Seine Untertanen hielten zu ihm. Er konnte sich in einem Denkmal nach dem nächsten verewigen – die Münchnerinnen und Münchner hielten zu ihm. Als er aber einer leicht bekleideten spanischen Tänzerin verfiel und vom rechten Weg abkam, haben sich die Münchner erstens bewaffnet, zweitens die Tänzerin davongejagt und weil sie schon mal dabei waren auch gleich den König. Zufrieden sahen sie danach zu, dass der nächste König Maximilian dann wieder – wie sie es gewohnt waren – nur Steuergelder verschwendete und alle neun Monate seine Frau schwängerte. Auch der nächste König, Ludwig der II, fing gut an, verprasste nur was an Geld noch da war und als er keines mehr hatte verkaufte er Soldaten an Preussen. Alles wie gewohnt. Aber als er dann jedoch offensichtlich Männer liebte wurde er bekanntlich vorsichtshalber im Starnberger See ertränkt.

Diese Stadt war eine gute Stadt. Hier lebten fleißige Männer die mit ehrbaren Frauen verheiratet waren. Züchtige Ehefrauen, die darauf warteten, dass ihre monogamen Ehemänner abends nach hause kamen und von ihrem Tag mit anderen monogamen Ehemännern erzählten. Sexualität orientierte sich am Kirchenjahr. Ewig hätte das so weitergehen können.

Doch dann musstet Ihr vor 20 Jahren ja unbedingt die rosa Liste gründen.

Und nichts sollte mehr so sein wie es vorher war. Seitdem geschehen in dieser Stadt seltsamste Dinge. Mehr als 800 Jahre gab es in dieser Stadt keine Schwulen und Lesben und Transgender. Diese Stadt wollte immer sowas von Heterosexualitätsnormal sein, dass sie in Wirklichkeit nicht die nördlichste Stadt Italiens, sondern die nördlichste Stadt des Vatikanstaats sein wollte. Doch seit 20 Jahren leben hier selbstbewusste Schwule und Lesben. Männer küssen Männer in aller Öffentlichkeit, Frauen küssen Frauen in aller Öffentlichkeit. Jedes Jahr ziehen als Schwule und Lesben und Transgender verkleidete Aliens durch die Innenstadt. Der Untergang dieser Stadt ist nur noch eine Frage der nächsten Wahlen. Ob diese Stadt ihren 900. Geburtstag in weniger als 50 Jahren noch erleben wird – oder ob sie Untergehen wird wie Sodom und Gomorrha – wir müssen das Schlimmste fürchten.

Aber eines ist klar, wenn der einzig Gerechte in dieser Stadt jemand wie Peter Gauweiler sein sollte, dann lasst ihn zur Salzsäule erstarren wie Loths Frau in der Bibel und lasst uns untergehen. Allein dieser Anblick wäre den Untergang doch schon wert. Liebe Schwule und Lesben – lasst uns mit solchen Heteros nie wieder alleine.

Es hatte sich ja schon vorbereitet: 1974 wurde der § 175 endgültig abgeschafft. Spätestens seitdem begann sich eine schwule und lesbische Community zu bilden. 1984 wurde erstmals mit Gerd Wolter ein offen Schwuler zum Stadtrat für die Grünen ins Rathaus gewählt.

Die Gründung der rosa Liste fanden weder die Münchner noch wir Grüne lustig. Die Münchner nicht, weil ihre Stadt jetzt demnächst untergeht – siehe oben – und die Grünen nicht, weil wir die Belange von Schwulen, Lesben und Transgendern ohne Probleme zwischen Öko-Kost und Fahrradabstellplätzen hätten mit erledigen können. Aber nein, Ihr musstet ja unbedingt eine eigene Liste gründen.

Und deshalb gibt es seit ungefähr 13,5 Jahren einen einmaligen Feldversuch: Grüne und rosa Liste arbeiten gemeinsam. Nachdem Ihr Streichhölzchen gezogen habt, habt ihr Thomas Niederbühl als Freiwilligen zu den Grünen geschickt. Auch wenn man – und frau – es manchmal nicht glauben sollten, grüne und rosa liste sind durchaus zwei unterschiedliche Kulturen.

Es beginnt mit dem Outfit. Auch wenn wir Grüne inzwischen lieber Sakkos und Anzüge und feinere Klamotten tragen – tief im Herzen stecken wir noch immer eng in der sumpfigen Natur des Bayerische Voralpenlandes. Wenn man vom Grünen die Schicht der feinen Kleidung entfernt, kommt der sogenannte Urgrüne zum Vorschein: Wenn wir zu hause die Türe hinter uns schließen oder unter uns sind, dann verwandeln wir uns heimlich wieder in die alten Ökos die selbstgestrickte knielange Pullover in den begehrten Umweltfarben der 70iger Jahre tragen. Gerne ergänzt mit den weiten und bequemen Latzhosen und den Gesundheitssandalen aus den Tiefen der Geschichte. Wenn diese dann Abend für Abend ausgezogen werden, kommt die natürliche und garantiert nicht gestutzte Körperbehaarung voll zur Geltung – allerdings weniger auf Waschbrettbäuchen sondern mehr auf ökologisch korrekten Waschbärbäuchen. Um zum Beispiel meinen Musikgeschmack zu mindestens 87 Prozent abzudecken genügen in der Regel drei Akkorde um die Erinnerung an durchblockierte Nächte vor waffenstrotzenden Kasernen mit eingängigen und politisch korrekten Liedern zum Weltuntergang hervorzurufen. Wir lieben Problemfilme. Wir sind mit dem Waldsterben sozialisiert.

Und da habt Ihr vor gut dreizehn Jahren Thomas Niederbühl reingeschickt!

Ich weiss ja nicht, ob man ihm das schon anmerkt. Das muss jetzt sein Mann sagen. Wir jedenfalls haben das Gefühl, dass er spätestens nach vier Stunden unruhig wird und verzweifelt eine grünenfreie Zone sucht. Dafür haben wir natürlich kein Verständnis. Wir sind alle in intellektuellen Kuschelgruppen groß geworden. Wir hören nicht auf Probleme zu diskutieren nur weil sie gelöst sind. Manchmal befürchten wir, dass Du nur deshalb noch rauchst, damit Du alle paar Stunden für 8 Minuten raus kannst.

Aber wir haben uns bisher immer in allen Punkten zusammengerauft bis auf einen, der zwischen Grünen und rosa Liste niemals kompatibel sein wird: Eure Forderung Kondome für alle wird mit unserer Forderung Jute statt Plastik niemals zusammengehen.

Aber zum 20. ist es an der Zeit euch 20 mal zu sagen dass wir froh sind, dass es Euch gibt. Es ist gut, dass es Euch gibt, weil….

1. Weil es ohne Euch keine Stelle für gleichgeschlechtliche Lebensweisen, weniger Förderung der schwul-lesbischen Infrastruktur, kein LeTra keine Förderung der Anti-Gewaltstelle, keine Antidiskriminierungsregelungen bei der Stadt oder das lesbischwulen Jugendzentrums geben würde.

2. Weil Ihr den Münchnern beigebracht habt, was unverständliche Kürzel wie CSD, SUB, LeTra, Schwukk oder Diversity bedeuten.

3. Weil ihr geholfen habt Gauweiler und Uhl zu vertreiben. Zwar nur bis Berlin, daran müsst ihr noch arbeiten, aber ihr könnt ja nicht überall sein.

4. Weil ihr diese Stadt liberaler gemacht habt. Und weil 20 Jahre rosa Liste auch 20 Jahre liberales coming out dieser Stadt sind.

5. Weil es ein gutes Zeichen ist, dass man sich heute die verkniffene, verlogene, heuchelnde Gesellschaft der 60iger und 70iger Jahre gar nicht mehr vorstellen kann und mag.

6. Weil Ihr Euch euren Teil der sexuellen Revolution von 1968 geholt habt. Und damit nicht nur für eure eigene Identität und eure eigenen Interessen gekämpft habt, sondern für die Interessen aller Menschen in München, die Liebe und Zusammenleben und Sexualität immer wieder neu verhandeln und nicht in normierten Schablonen leben wollen.

7. Weil ihr euch als Teil einer Bürgerrechtsbewegung seht. Und deshalb natürlich mit uns zusammen seid. Weil das rot-grün-rosa Bündnis auch und gerade wegen Euch ein liberales Zukunftsbündnis ist. Natürlich wären wir als rot-grün alleine genauso bedeutsam. Aber das rosa ist mehr als ein rosa Neglige, das den ansonsten natürlich sehr gelungenen Körper von rot grün adrett umgibt. Rosa ist immer die Aufforderung, dass wir es auch ernst meinen mit dem was liberales Leben ausmacht. Denn Liberalität kommt nie von selbst. Sie muss immer erkämpft werden und verteidigt werden. Und sie ist morgen verloren, wenn wir nicht dauerhaft bei der Sache bleiben. Mit Euch werden wir dauerhaft bei der Sache bleiben.

8. Weil ihr einer bekannten überregionalen Zeitung die in der Abkürzung mit S beginnt und mit Z endet beigebracht habt, dass man zu homosexuell auch schwul sagen kann. Das war vor 20 Jahren nämlich verpönt.

9. Weil Ihr in 20 Jahren raus aus den Hinterhöfen und Kellern und rein ins Bewusstsein gekommen seid. Ihr seid angekommen in der Münchner Stadtgesellschaft und habt sie damit auch verändert.

10. Weil Ihr sogar der CSU beigebracht habt, dass Schwule und Lesben wenn schon nicht normal so doch wenigstens Wähler und Wählerinnen sind. Bis Ihr allerdings den Christlich–sozialen-Darkroom Staatskanzlei erobert habt, bis ihr diesen CSD habt, dass wird noch dauern.

11. Weil Ihr Protestpartei und Regierungspartei in einem geblieben seid. Genauer – seit ihr im Rathaus seid, seid ihr in der Regierung – aber auch auf der Straße. Das ist Eure Stärke.

12. Weil Ihr das alles in einer Stadt geschafft habt, in der es euch eigentlich gar nicht geben dürfte. In einer Stadt wo die Jungfrau Maria nach wie vor den zentralen Platz vor dem Rathaus observiert und die Leitkultur hinter jeder Ecke lauert.

13. Wenn der Papst in München ist, was ja bei dem jetzigen doch immer wieder passieren kann, kann er sich nie sicher sein, ob ihm nicht ein schwuler Stadtrat mit Mann die Hand schüttelt oder den Ring küsst.

14. Weil Ihr Sexualität zum Thema gemacht habt. Ihr habt die Lebensentwürfe vermehrt und damit mehr Freiheit für alle gebracht.

15. Weil Ihr die Eurogames nach München geholt habt.

16. Weil ihr der politische Arm einer breiten Bewegung seid.

17. Weil ihr mit dem CSD das größte Aufklärungsprogramm Bayerns gestartet habt. Wenn ich mit meinen 12 und 14 Jahre alten Töchtern auf dem CSD war, haben wir immer einen Rucksack voll mit Kondomen, Gleitmitteln, genitalgeformten Fruchtgummis und Werbeprospekten die keine – auch die nie gestellten – Fragen offen lassen.

18. Weil ihre in einer langen und steinigen Tradition der Gleichbereichtigiung der Homosexualität steht. Das Verdienst der Rosa Liste ist es, genügend Menschen überzeugt zu haben, dass es eine eigene Interessensvertretung braucht. Und das ist auch gut so. Eure wirkliche Stärke ist eure Eigenständigkeit. Auch wenn meine grünen Freunde mich dafür würgen: Die rosa liste ist am stärksten als eigenständige Lobbygruppe.

19. Eure Stärke ist aber auch, dass Ihr es geschafft habt über den Schwul-lesbischen Tellerrand hinauszublicken. Längst greift Ihr alle Themen auf. Ihr seid in der politischen Verantwortung angekommen. Ihr habt Alexander Miklosy als geschätzten BA-Vorsitzenden genauso wie aktive BA-Politiker. Ihr kümmert Euch nicht nur um Euch, sondern um die Stadt – und das ist auch Eure Stärke.

20. Weil ihr Thomas Niederbühl habt. Natürlich habe ich als braver linker Szenemensch gelernt, dass wir alle ersetzbar sind und alle alles können. Nachdem das keine grüne Veranstaltung ist, sag ich es halblaut, meine grünen Kollegen hören bitte kurz weg: Alles Quatsch. Politik wird von Menschen gemacht. Und das die rosa liste Dich hat, ist ein Glücksfall. Und ich möchte Dir hier auch für viele Jahre wirklich guter Zusammenarbeit danken.

Jeder 10. soll ja schwul sein, jede 10 lesbisch: Wenn ihr also 10 % der Münchner Stadtgeschichte für Euch beanspruchen wollt, dann wären das bisher ca. 85 Jahre. 20 sind um, die nächsten 65 Jahre gehören euch.